Text 6:
Cicero, De legibus 1,22,58-23,60

 

Cic. leg. 1,22,58b

Cic. leg. 1,22,58c


Cic. leg. 1,22,58d

Cic. leg. 1,22,59a


Cic. leg. 1,22,59b


Cic. leg. 1,23,60

Es verhält sich ja folgendermaßen: Die wesentliche Aufgabe des Gesetzes ist es, die Laster zum Besseren zu wandeln und das rechte Verhalten zu empfehlen; deshalb leitet man auch die Lehre, wie man zu leben hat, aus dem Gesetz ab. So kommt es, dass die Mutter alles Guten die Weisheit ist; von der Liebe zu ihr hat auf Griechisch die Philosophie ihren Namen erhalten. Sie ist das Fruchtbarste, Ausgezeichnetste und Vorzüglichste, was dem menschlichen Leben die unsterblichen Götter verliehen haben. Sie allein nämlich hat uns alles Übrige gelehrt, vor allem aber das Schwierigste, nämlich Selbsterkenntnis, ein Gebot, dessen Bedeutung so groß, dessen Sinn so tief ist, dass man es nicht irgendeinem Menschen, sondern dem Gott von Delphi zugeschrieben hat. Denn wer sich selbst erkennt, der wird empfinden, dass er etwas Göttliches besitzt, und er wird die Denkkraft, die er in sich hat, wie ein geweihtes Götterbild erachten und stets tun und denken, was eines so großen Geschenks der Götter würdig ist.

Und wenn er sich selbst durchschaut und ganz geprüft hat, wird er erkennen, mit was für einer natürlichen Ausstattung er ins Leben trat und welch mächtige Hilfsmittel er zur Verfügung hat, um die Weisheit als festen Besitz zu erlangen, da er von Anbeginn in seinem Geist von allen Dingen gleichsam schattenhaft umrissene Vorstellungen empfangen hat, nach deren Aufhellung er klar sieht, dass er unter Führung der Weisheit ein guter und eben deswegen ein glücklicher Mensch werden kann. Denn wenn der Geist die Tugenden erkannt, sich zu Eigen gemacht und sich so freigemacht hat von willfähriger Nachgiebigkeit dem Körper gegenüber, wenn er den Verstand dazu geschärft hat, das Gute zu wählen und das dem Guten Entgegengesetzte abzulehnen, was wird sich dann Beglückenderes nennen und denken lassen?